Geschichte von 1933 bis 1940 (1945)

Die Einschnitte und das unbeschreibliche Leid, welche der Machtantritt der Nationalsozialisten für das Leben der jüdischen Mitbürger im Kraichgau mit sich brachte, kann hier nur andeutungsweise dargestellt werden. Das Leben jedes einzelnen jüdischen Einwohners änderte sich grundlegend und unwiederbringlich. Viele jüdische Männer, Frauen und Kinder aus dem Kraichgau überlebten die Lager in Südfrankreich bzw. in Osteuropa nicht. Die Überlebenden der Shoah, darunter auch die vor den Deportationen ins Ausland gebrachten Kinder, sind bis in die Gegenwart davon gekennzeichnet. Der Verlust der Eltern, Geschwister, Großeltern und anderer Verwandte hat tiefe Spuren im Leben dieser Menschen hinterlassen. Wer sich näher mit diesem dunkelsten Kaptitel unserer Landes- und Heimatgeschichte befassen möchte, verweisen wir auf die unten aufgeführte Literaturangaben und Internetadressen.

Von der Machtergreifung bis zur Reichspogromnacht
Die Anzeichen auf eine breite Unterstützung der Nationalsozialisten innerhalb der Bevölkerung zeichneten sich schon in den Wahlen 1932 (Juli/November) ab. Die NSDAP konnte unter anderem im damaligen Amtsbezirk Sinsheim die meisten Stimmen erzielen. Ähnlich hohe Ergebnisse wurden in Bruchsal erzielt.[1] Dieser Trend bestätigte sich in der folgenden Reichstagswahl am 5. März 1933. Während die NSDAP im Land Baden mit 45,4% der Stimmen gewählt wurde, betrug der Anteil der Wählerstimmen im Amtsbezirk Sinsheim überdurchschnittliche 64,09%.

Für die jüdische Bevölkerung hatte der Machtwechsel und die offensichtlich antisemitische Einstellung vieler Einwohner des Kraichgaus unmittelbare Auswirkungen und schränkte das tägliche Leben elementar ein.

Ebenso erfolgte schrittweise ein Ausschluss aus dem gesamten öffentlichen Leben. Jüdische Männer aus dem Kraichgau mussten, wie in anderen Orten des Deutschen Reiches, z.B. ihre Feuerwehruniformen abgeben; die Mitgliedschaft in Gesangs- und Sportvereinen wurde aufgekündigt. Juden waren in öffentlichen Einrichtungen wie z.B. Schwimmbädern oder in Gaststätten unerwünscht.


G_StaAz
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Jüdische Schüler waren Repressionen durch ihre Lehrer, aber auch durch ihre Mitschüler ausgesetzt. Die aus Eppingen stammende Hanna Hamburger geb. Marx berichtet in einem Zeitzeugeninterview über antisemitisch eingestellte Lehrer am Gymnasium Sinsheim:

„Im Jahre 1936 musste ich nach Sinsheim auf die weiterführende Schule gehen. Damals fing alles an schlimmer zu werden. Meine ehemaligen Schulkameraden aus Eppingen setzten sich nicht mehr in das gleiche Zugabteil, in dem ich saß. … Einen Lehrer werde ich nie vergessen. Er unterrichtete Englisch und Erdkunde. Er war ein echter Nazi und wurde immer böse, wenn ich gute Arbeiten schrieb. Er zeigte auf mich und sagte: „Die Arbeit war wohl zu leicht, wenn gewisse Leute so guten Noten erzielen.“[3]

Der in Hoffenheim geborene Manfred Mayer(Frederick Raymes) schildert seine Erlebnisse wie folgt:

„ Da ich in der ersten Klasse das einzige jüdische Kind war, wurde ich ständig schikaniert und verprügelt. … Ich kann mich an keine einzige Gelegenheit erinnern, bei der ein Erwachsener, der diese täglichen Schikanen beobachtete, versucht hätte, die anderen Kinder daran zu hindern, mich zu verprügeln. … Die kleine Elsenz floss durch das Dorf. An heißen Tagen paddelten wir im kühlen Wasser, aber wenn „unsere Feinde“ uns entdeckten, war unsere Anwesenheit eine Einladung zum Angriff: „Ersäuft die Judenbuben“. Sie sprangen auf mich und drückten meinen Kopf unter Wasser, ließen mich aber im letzten Augenblick los.“[4]

Darüber hinaus war es Ziel vieler Schulleiter von Schulen im Kraichgau, dass keine jüdischen Schüler deren Schule mehr besuchten. So notierte z.B. am 13. März 1937 der damaligen Eppinger Rektor Löwenhaupt nach dem Austritt der aus Flehingen und Eppingen stammenden jüdischen Schüler Julius Bierig und Kurt Schwarz im Jahresbericht der Schule[5]:

„Allgemeines: Durch den Austritt der nichtarischen Schüler ist die Realschule Eppingen judenfrei“.

Neben dem Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben trafen die verordneten Boykottmaßnahmen die jüdische Bevölkerung in den kleinen Landgemeinden besonders hart. Die auf den Vertrieb von landwirtschaftlichen Produkten spezialisierten Kraichgauer Juden war jegliche Existenzgrundlage entzogen.

In Eichtersheim mussten zwischen 1936 und 1938 alle jüdischen Gewerbebetriebe schließen beziehungsweise wurden von nichtjüdischen Personen übernommen. In Ittlingen wurden im selben Zeitraum die Wandergewerbescheine eingezogen, und die jüdischen Ladengeschäfte mussten ebenfalls geschlossen werden. Der jüdische Schäfer Moses Eisenmann aus Neidenstein erhielt ab 1936 keine Weideplätze mehr für seine Schafherde und musste die Tiere verkaufen.[6]

Aber auch in den größeren Städten am Randgebiet des Kraichgaus, wie z.B. Bruchsal oder Wiesloch, mussten die Unternehmen und Geschäfte aufgegeben werden. Bei der Machtübernahme Hitlers gab es in Bruchsal ca. 130 jüdische Geschäfte und Unternehmen. Durch die Repressionspolitik der Nationalsozialisten sahen sich immer mehr Geschäftsinhaber gezwungen, den Geschäftsbetrieb einzustellen oder an nichtjüdische Besitzer, dann allerdings meistens weit unter Wert, zu verkaufen. Nach 1938 wurden die Verbliebenen zunehmend „arisiert“. Die am 12. November 1938 von der Reichsregierung erlassene Verordnung „zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ führte dann bis zum Stichtag 1. Januar 1939 zur Auflösung der noch bestehenden Einzelhandelsgeschäfte.[7] In Wiesloch existierten im September 1938 nur noch die Tabakfabrik Ebner & Kramer sowie das Textilgeschäft von Adolf Rosenthal.

In den Jahren 1933 bis 1939 verließ der Großteil der Juden den Kraichgau. Sofern man es sich finanziell leisten konnte oder verwandtschaftliche Beziehungen es ermöglichten, emigrierte man nach Übersee oder ins damalige britische Mandatsgebiet Palästina. Andere suchten in den größeren Städten Heidelberg, Mannheim oder Karlsruhe, einzelne auch in der elsässischen Metropole Strasbourg, Schutz in der Anonymität. Als Folge dieser massiven Abwanderung wurden viele jüdische Gemeinden im Kraichgau aufgelöst (z.B. Michelfeld im Jahre 1935; Heinsheim, Meckesheim, Münzesheim, Östringen, Odenheim, Steinsfurt im Jahre 1937, Siegelsbach im Jahre 1938).

Der 9./10. November 1938
Wie überall im deutschen Reich wurde im Kraichgau während der Reichspogromnacht der größte Teil der Synagogen, sofern sie vorher nicht schon veräußert wurden (z.B. Eichtersheim, Meckesheim, Steinsfurt, Walldorf), geschändet und zerstört.

Manchmal bedurfte es ausdrücklich des Protestes der Ortsbewohner, dass sich eine bereits in nichtjüdischem Besitz befindliche Synagoge (Beispiel Bad Mingolsheim) nicht doch zerstört wurde.[8] Darüber hinaus kam es in vielen Orten zu massiven Beschädigungen jüdischer Geschäfte und Ausschreitungen gegenüber der jüdischen Bevölkerung. In Berwangen wurde das Mobilar bereits ausgewanderter Juden, das zum Teil in der jüdischen Schule abgestellt war, zerschlagen oder auf dem Sportplatz verbrannt, die erreichbare jüdische Bevölkerung mit Knüppel geschlagen.[9] In Bonfeld wurde Hugo Heinrich Hertz dermaßen schwer misshandelt, dass er 1940 an den Folgen im jüdischen Krankenhaus Frankfurt verstarb.[10]

Die drei folgenden Beispiele basieren auf Zeitzeugenberichte und geben einen Eindruck über die Vorgänge der Reichspogromnacht im Kraichgau:

Bretten:
In der Pogromnacht 1938 wurde die Synagoge am Morgen des 10. November 1938 von SA- und SS-Angehörigen durch Brandstiftung vollständig zerstört. Mit mehreren Kanistern Benzin, die bei einer örtlichen Tankstelle besorgt wurden, ist der Brand gelegt worden. Dabei wurden alle kultischen Gegenstände zerstört, unter anderem 25 wertvolle Torarollen und der Tora-Silberschmuck. Obwohl Nachbargebäude gefährdet und durch den Brand auch beschädigt worden waren, erlaubten die örtlichen Naziführer zunächst nicht, dass die Feuerwehr eingriff. Am Nachmittag gegen 14 Uhr wurden alle inzwischen verhafteten jüdischen Männer unter Bewachung von SA und SS vor dem Rathaus aufgestellt und vom Bezirkspropagandaleiter mit Musik durch die Stadt geführt. Auf dem Rückweg über den Promenadenweg mussten sie an der bereits ganz zerstörten Synagoge Halt machen, wo der Bezirkspropagandaleiter eine Hetzrede gegen den jüdischen Glauben hielt. Das israelitische Gemeindehaus Engelsberg 6 wurde am 10. November 1938 demoliert.[11]


G_Eppingen
[12] Geschändete (Neue) Synagoge Eppingen, Frühjahr 1939



G_Ittlingen
[13] Zerstörte Synagoge Ittlingen, November 1938


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[14] SA-Männer in der zerstörten Synagoge in Heidelberg-Rohrbach



G_Bruchsal
[15] Bruchsaler Synagoge nach der Zerstörung


Bruchsal:
In Bruchsal wurde die Synagoge in den frühen Morgenstunden des 10. November zwischen 4.30 Uhr und 6.00 Uhr bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Entsprechend den Akten aus dem Synagogenbrandprozess (12. Juli 1946 vor der Karlsruher Strafkammer) waren an der Brandstiftung sowohl NSDAP-Partei-Mitglieder, als auch SA-Männer und SS-Männer beteiligt. Die Bruchsaler Feuerwehr hatte dabei lediglich den Befehl, das Übergreifen des Feuers auf die umliegenden Häuser zu verhindern. In der Stadt kam es zu massiven Beschädigungen jüdischen Besitzes. SA-Männer wurden später vor diesen stationiert, um Plünderungen zu verhindern. Mehrere jüdische Bürger und der Bruchsaler Bezirksrabbiner Dr. Siegfried Grzymisch wurden in „Schutzhaft“ genommen. In der Bruchsaler Neuen Zeitung vom 11. November 1938 wird über die Geschehnisse wie folgt berichtet:

G_Bruchsal-StAB
[16]



Hoffenheim:
„Am frühen Morgen gegen 7 Uhr des 10. November kam auch nach Hoffenheim der Befehl durch den Bürgermeister von Waibstadt und Obersturmbandführer der SA des Kreises Sinsheim. … Anders als in den meisten anderen Orten waren sie nicht in Zivil, sondern in Uniform gekommen. Der Synagogendiener Mayer, der im Gebäude der Synagoge wohnte, kam heraus und sagte zu den angetretenen SA-Männern, die Synagoge werde wohl zerstört werden, und beharrte gegenüber den SA-Leuten auf dieser Meinung. … Es kamen andere Schaulustige hinzu, eine Menschenmenge rottete sich dort zusammen. .... Etliche Männer mit und ohne Uniform gingen dann in die Synagoge. Wenige Sekunden später hörte die Menge draußen einen großen Knall und Klirren; der große Kronleuchter in der Mitte der Synagoge war heruntergeschlagen worden. Dann wurde der Almenor zerstört, die Bänke herausgerissen und aus der Synagoge geschleppt, Vorhänge heruntergerissen und das Dach abgedeckt. Die Familie Mayer und andere Juden des Ortes standen weinend vor ihrer Synagoge, die Kinder der Familie waren aus dem Bett gerissen worden und standen im Schlafanzug auf der Straße. …. Das Dach des jüdischen Gotteshauses wurde dann vollständig abgerissen, das Gebälk gemeinsam mit dem Inventar mit einem Pferdefuhrwerk auf eine Wiese am Ortsausgang Richtung Sinsheim gefahren. Am selben Tag wurden das Gebälk und die Einrichtung der Synagoge verbrannt. … Ein Hoffenheimer Bauer, der gerade vom Feld heimkehrte, hielt sein Fuhrwerk an, stieg ab und meinte nur: „Es ist ein Gott wohlgefälliges Opfer, denn der Rauch steigt senkrecht nach oben.“[17]

Der 22. Oktober 1940
Auf Befehl des badischen Gauleiters Robert Wagner wurden am 22. Oktober 1940 fast alle in Baden und der Pfalz lebenden Juden in das südfranzösische Internierungslager Gurs deportiert. Das am folgenden Tag nach Berlin abgesetzte Telegramm: „Der Gau Baden ist von nun an judenfrei“, traf damit auch auf den Großteil des Kraichgaus zu. Von einer Deportation zunächst verschont waren nur die in einer so genannten „Mischehe“ lebenden jüdischen Personen. Menachem Mayer und Frederick Raymes schildern die persönlich erlebte Deportation wie folgt:

Fred: Am 22. Oktober 1940 kam es zu einem erschreckenden Ereignis in unserem Leben. Um 8 Uhr morgens erschienen zwei Angehörige des Gestapo an der Tür der Heumanns, um uns mitzuteilen, wir hätten innerhalb von zwei Stunden zur Abfahrt bereit zu sein. Wir durften 50 kg persönliche Habe für jeden Erwachsenen und 30 kg für jedes Kind sowie 100 Reichsmark für jeden mitnehmen. Das war alles, was wir erfuhren – weder sagte man uns, wohin man uns bringen würde, noch erklärte man uns, warum es nötig geworden war, dass wir unsere Heimat verließen. Wir waren fassungslos. Die Ankündigung kam völlig unerwartet, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Alle Juden aus Hoffenheim wurden am gleichen Tag deportiert. … Die Gestapoleute beobachteten uns schweigend und mit ausdruckslosen Gesichtern. Ich sehe noch die Hand des einen auf dem Griff seiner Pistole. Ich glaubte, er würde schießen. Vater sprach aufgeregt auf einen der beiden ein – ich weiß nicht mehr, was er sagte, aber ich erinnere mich deutlich daran, dass er seine militärischen Auszeichnungen, darunter das Eiserne Kreuz, holte und sie wütend den Gestapomännern vor die Füße warf…

Menachem: Ich erinnere mich, dass Vater schrie: „Habe ich dafür im Krieg gekämpft?“

Fred: Die Gestapo trieb uns durch unseren Geburtsort zur Rathaus, wo offene Lastwagen auf uns warteten. Die gesamte jüdische Gemeinde, 17 Menschen an der Zahl, Jung und Alt, wurde auf die Lastwagen verladen und zum Bahnhof in Heidelberg gebracht.[18]

Viele der vom Kraichgau deportieren Juden starben bereits nach wenigen Wochen in Folge von Entkräftung und den menschenunwürdigen Lebensbedingungen im Lager. Nur Wenige überlebten das Lager, sei es durch Flucht oder durch die Bereitschaft internationaler Organisationen, die sich um die Befreiung von Kindern und Jugendlichen bemühten. Ein Großteil der ehemals nach Gurs deportierten Juden aus dem Kraichgau wurde später über Drancy (20km nordöstlich von Paris) in die Vernichtungslager in den Osten deportiert und dort ermordet.

Anders als im badischen Landesteil wurden die Juden aus dem württembergischen Teil des Kraichgaus direkt aus ihren Wohnorten in den Osten deportiert. So wurde die beiden letzten Juden von Massenbach, Regine Abraham geb. Westheimer und Jenny Abraham geb. Kahn im August 1942 zunächst nach Theresienstadt deportiert. Während Jenny Abraham dort bereits am 26. September 1942 zu Tode kam, wurde Regine Abraham später in eines der Vernichtungslager im Osten transportiert. Dort verliert sich ihre Spur.[19]

Selbst bis kurz vor Kriegsende fanden Deportationen statt. Am 15. Februar 1945 wurde eine in so genannter „Mischehe“ lebende Frau von (Heidelberg)-Rohrbach nach Theresienstadt deportiert. Alle Versuche, auch ein Attest eines Rohrbacher Arztes, konnten nicht verhindern, dass die mehrfache Mutter von kleinen Kindern in das Konzentrationslager verschleppt wurde. Sie überlebte das Lager, wog bei ihrer Rückkehr nach Rohrbach allerdings nur noch 40 kg[20]

G_Tabelle

Zur Problematik der anzugebenden Opferzahlen schreibt Dr. Joachim Hahn, Plochingen:

Das Problem der Zahl der in der NS-Zeit aus einem Ort umgekommenen Personen ist bekannt und bedarf immer wieder der Erläuterung.

In den 1960er-Jahren wurde von der Archivdirektion Baden-Württemberg eine groß angelegte "Judendokumentation" erstellt (damals unter Paul Sauer und Team). Ein Ziel war damals: das Schicksal aller 1933, also zu Beginn der NS-Zeit an einem jeden Ort Baden-Württembergs wohnhaften jüdischen Personen zu erfassen. Man musste ein Stichjahr haben, um auch insgesamt präzise Ergebnisse zu bekommen. Wenn also eine Person an einem Ort XA geboren ist, später an einem Ort XB aufgewachsen ist, 1933 zB nach seiner Heirat am Ort XC gelebt hat und womöglich in der NS-Zeit nochmals verzogen ist in den Ort XD, so hat man für diese Person wie für alle anderen jüdischen Personen in Baden-Württemberg den Ort XC genommen, ergänzend - weil teilweise aus Orten außerhalb Baden-Württembergs noch Personen zugezogen sind - auch die Personen, die nach 1933 an einem Ort gelebt haben (manche sind auch erst nach 1933 geboren). D.h. die Zahlen der Archivdirektion sind immer die Zahlen XC + XD.

Wenn Sie also heute in das Hauptstaatsarchiv gehen und die Judendokumentation EA 99/001 auswerten, so können Sie zB das Büschel zu Gemmingen entnehmen und erhalten dann Bögen zu den Schicksalen der 1933 oder danach in Gemmingen lebenden jüdischen Personen. Entsprechend waren dann die Auswertungen: Von den 1933 oder danach in Gemmingen wohnhaften Personen sind 8 Personen umgekommen.

Diese Zahlen sind allerdings problematisch. Denn es gibt gerade in den Dörfern auf dem Land viele Personen, die vor 1933 in andere Orte (oft in Städte) weggezogen sind oder bereits nach ihrer Geburt mit der Familie verzogen sind usw. usw. Solche Personen waren natürlich auch zB "Gemminger", die man erwähnen sollte, weil sie aus einem Ort stammen.

Um eine gewisse Korrektur der Zahlen zu erreichen im Blick auf bestimmte Orte, ist auf den Ortsseiten von "Alemannia Judaica" immer zumindest angegeben: die Zahl der Personen, die an einem Ort geboren sind und/oder später längere Zeit an diesem Ort (vor allem noch 1933 und danach) gewohnt haben. Diese Personen erhält man zB durch Auswertung der Liste im online stehenden Gedenkbuch des Bundesarchives bei Angabe von Geburtsort und Wohnort:
http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/directory.html - ergibt gerade im Gedenkbuch 58 Personen für Gemmingen bei Berücksichtigung Geburtsort und Wohnort 1933ff.

Das ist natürlich ein großer Unterschied: 8 oder 58 Personen! Manchmal verwenden Personen, die u.U. die Gräuel der NS-Zeit lieber herunterspielen wollen, gerne die erste Zahl: aus Gemmingen sind "nur" 8 Personen umgekommen. Andere nehmen die andere Zahl, was m.M.n. korrekter ist, wenn es speziell den Bezug zu einem Ort herstellt. Oft muss man sogar noch andere Personen hinzunehmen. ZB kann es sein, dass am Ort X ein Lehrer von 1903 bis 1931 gewirkt hat, der aber weder in X geboren ist, noch in den Listen 1933ff auftaucht. Aber er gehörte viele Jahre zum Ort X, sodass ich ihn auch unter den Opfers aus X nennen würde.

Freilich ist das andere Problem, wenn man die Zahl der nach 1933 in Baden-Württemberg umgekommenen Personen nun hochrechnen möchte: dann muss man die Zahlen von 1933 verwenden, denn sonst würde man auf eine völlig falsche Zahl kommen, denn eine Person, die in XA, XB, XC und XD gewohnt hat, wird ja sonst viermal erfasst und die Insgesamt-Zahlen werden verfälscht.


[1] Stude, Jürgen: Geschichte der Juden in Bruchsal. Mit einem Beitrag von Thomas Adam. verlag regionalkultur 2007. S.199

[2] Heimatfreunde Eppingen: Jüdisches Leben im Kraichgau. Die Geschichte der Eppinger Juden und ihrer Familien. Verfasst von den Schülern der AG-Landeskunde am Eppinger Gymnasium unter der Leitung von Bernd Röcker und der Mithilfe von Michael Heitz. Eppingen 2006. S.26

[3] Heitz, Michael: Jüdisches Leben im Kraichgau am Beispiel der ehemals kurpfälzischen Stadt Eppingen im 19. und 20. Jahrhundert. - Mit Unterrichtsbeispielen -. Diplomarbeit an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg 2001. S.109f

[4] Mayer, Menachem/Raymes, Frederick: Aus Hoffenheim deportiert. Menachem und Fred. Der Weg zweier jüdischer Brüder. Herausgegeben vom Heimatverein Hoffenheim. verlag regionalkultur. Zweite, überarbeitete und erweiterte Auflage 2008. S.32f

[5] Heitz, Michael: a.a.O., S.90

[6]
http://www.alemannia-judaica.de/neidenstein_synagoge.htm

[7] Stude, Jürgen: a.a.O., S.233ff

[8] Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen: Synagogen in Baden-Württemberg. Teilband 2. Orte und Einrichtungen. Konrad Theiss Verlag 2007. S.40

[9]
http://www.alemannia-judaica.de/berwangen_synagoge.htm

[10]
http://www.alemannia-judaica.de/bonfeld_synagoge.htm

[11]
http://www.alemannia-judaica.de/bretten_synagoge.htm

[12] Heimatfreunde Eppingen: a.a.O., S.29

[13]
http://www.alemannia-judaica.de/ittlingen_synagoge.htm

[14]
http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2021/Rohrbach%20Synagoge%20301.jpg

[15] Stude, Jürgen: a.a.O., S.304

[16] Stude, Jürgen: a.a.O., S.295

[17] Streib, Ludwig: Die israelitische Gemeinde in Hoffenheim - 1918 bis 1945 - . Seminararbeit im Rahmen eines Diakoniewissenschaftlichen-Kirchengeschichtlichen Seminars an der Universität Heidelberg. 1989. S.44ff

[18] Mayer, Menachem/Raymes, Frederick: a.a.O., S.51f

[19] Angerbauer, Wolfram/Frank, Hans Georg: Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn. Geschichte, Schicksale, Dokumente. Landkreis Heilbronn 1986. S.156f

[20] Rink, Claudia unter Mitarbeit von Brigitte Kettner und Ursula Roper: Jüdisches Leben in Rohrbach. Sonderdruck aus: Jahrbuch zur Geschichte der Stadt Heidelberg. Jg. 8, 2003/04. S.20

[21] Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen: a.a.O.